Nutzlose Verzierungen
von Christoph Laade
Floristisches Weihnachthappening in Brügge
Als Landschaftsarchitekt lernte ich das Handwerk der Gestaltung kennen. Unsere Ausbildung war an den Idealen der klassischen Moderne orientiert. Der Slogan mit den drei „F“ war unsere Orientierung: „Form follows Funktion“. Ein Entwurf ist nur gut wenn er eine Funktion erfüllt, also nützlich ist. Verzierungen und Deko waren nicht begründbar, damit weniger als nutzlos, nämlich nicht existent. Soweit die Welt strenger Gedanken.
Eine ganz andere Welt eröffnete sich mir im winterlichen Brügge bei den magischen Wintermomenten. Als Beispiel sei eine kleine florale Installation von Denise Hogengaard beschrieben:
Auf wilden, aufstrebenden Zweigen ducken sich die fahlgelben Früchte der Scheinquitte. Schmetterlingen gleich sitzen lilagefleckte Orchideenblüten auf Zweigen und Früchten.
Die Floristin hat hier etwas ebenso Nutzloses wie Unbegreifliches geschaffen. Und doch: Man sieht hin, ist gefangen, ein Zauber wirkt.
Ist es also wirklich nutzlos, wenn wir scheinbar bekannte Dinge wie Zweige, Quitten und Blüten neu entdecken? Ist ein netter kleiner „Aha“ Effekt wirklich nutzlos? Was geschieht, wenn man die Gemeinsamkeit der Quitten und der Orchideenblüten entdeckt? Beide sind unregelmäßig rund und gefleckt. Die Farben gedeckt und komplementär- auf einem alten Filmnegativ wüsste man zunächst nicht, was wohl Blüte oder Frucht ist.
Man vergleicht, schaut genauer hin, will die einzelnen Teile anfassen- begreifen- hütet sich dann jedoch aus Respekt vor der fragilen Konstruktion. Man fühlt, dass das Leben dieser Kreation schon bald erloschen ist.
Mit wenigen Dingen vermag ein Florist Gefühle zu erwecken, etwas Stimmungsvolles zu kreieren.
Wir können wieder staunen wie einst in der Kindheit. Wir fühlen uns wie unter den Weihnachtsbaum gezaubert. Die Augen weit, der Mund offen. Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder…
Vielleicht ist es ja so, dass der offene Mund des Staunenden der Beginn von Ehrfurcht und Liebe ist.
Nicht umsonst ist die Weihnachtszeit auch die hohe Zeit der Floristen.
Floristik –MAGICAL Winter Moments
Sie gehört zu den ältesten menschlichen Kunstfertigkeiten und wohl auch zur einzigen, die jeder Mensch schon einmal ausgeführt hat. Kein Fest, sei es die Geburt, Hochzeit oder Geburtstag oder Weihnachten ist denkbar ohne Sie – die Floristik. Die alte Bezeichnung Blumenbinderei spricht nur die scheinbar einfache handwerkliche Kunst an. Das diesem Handwerk wahrhaft göttliche Ehren gebühren lässt sich an dem Verweis an die antike Göttin der Pflanzenwelt Flora ablesen.
Schon als Kinder haben wir aus Gänseblümchen und Löwenzahn fragile Kränze gebunden und waren stolz wie Oskar wie wir uns damit in eine Fee verwandeln konnten.
Wie verwandelt verlassen die Besucher auch die Magical Winter Moments in Brügge. In den Hallen des ehemaligen Sint Jan Hospitals im historischen Zentrum der Stadt zeigt sich die kleine und große Macht menschlicher Spiel und Gestaltungsfreude.
Die Besucher wandeln in der hellen Galerie des Backsteingebäudes mit Ausblick über die Dächer von Brügge. Die Rasenfläche des Innenhofes hat einen dezenten Hauch von Weihnachten erhalten.
Innen werden Säle, Kabinette und Nischen von ausgezeichneten Floristen bespielt.
Im Bachsaal werfen sich scheinbar Riesen Schneebälle zu. Syntra Gent hat schwebende geflochtene Kugeln in blaues und weißes Licht gehüllt. Ganz zurückhaltend ist dagegen Syntras Erinnerungen an Ihren Großvater. Ein Tisch mit Erinnerungstücken und einigen wenigen orangen und roten Blumen sowie ein Bild und eine Uhr.
Das Spiel mit der Vergänglichkeit und der Respekt vor der natürlichen Schöpfung lebt auch in den floralen Kleiderkollektion von Anne Huttener.
Kunstvoll hat die vielfach ausgezeichnete aus Blättern, Gräsern, Zapfen und Zweigen Kleider gesteckt.
Rot glänzt ein Ahornkleid, dessen Saum mit den dunklen Früchten des Lederhülsenbaums aufgebauscht ist. Glänzend grün ummantelt sind die knallroten Blüten einer weiteren Kreation. Die Kollektion entführt in die Garderobe der Göttin Flora selbst. Die Zartheit des Vergänglichen und die gefühlvolle Handwerkskunst begleiten uns in andere Welten.
Wie betende Hände recken sich die drei Teile einer weiteren floralen Skulptur von Anne nach oben.
Der Beethovensaal wird von einem Bildwerk von Frederiek van Paemel eingenommen. Nur wenige Scheinwerfer genügen um die Blumenwand aus roten, orangen und gelben Kalanchoe ins rechte Licht zu rücken. In der Mitte der Wand schluckt eine tiefschwarze Öffnung alles Licht. Das Werk hat keinen Titel, es spricht für sich.
Weihnachtsbäumen begleiten die Besucher auf Schritt und Tritt. In einem Gang reihen sich rein weiß geschmückte Fichten. Ein anderer Gang ist bunten Kombinationen gewidmet. Erst auf den zweiten Blick eröffnen sich die spannenden Variationen des Schmucks. Einmal sind es Puppenkleider, dann Spielzeug, dann wieder die Blüten von Weihnachststernen und selbstverständlich die schönen klassischen Kugeln.
Recht trollenhaft wirken Bäume aus knorrigen Ästen mit weißem und glänzendem Behang, vielleicht die Bäume aus dem Reich eines Eispalastes?
Die Dreiecksformen der Weihnachtsbäume werden nachempfunden in Kreationen aus Kakaoschalen oder aus kunstvoll gewobenen und gebundenen Gräsern. Auch hier folgt dem Staunen oft ein neugieriger Blick mit der Frage woraus diese Gebilde wohl seien. Auch darin sind Floristen ja Meister uns bekanntes in neuer Form vorzuführen und damit neu entdecken zu lassen.
Ein Kabinett mit Ausblick auf die St. Salvatorskirche wird eingenommen von einer Gruppe knallroter Baumskulpturen aufgebaut aus Genter Azaleen. In Lochristi unweit von Gent ist das weltweit größte Anbaugebiet von Zimmerazaleen.
Die Produzenten von Anthurien haben einige Räume weiter eine barocke Kathedrale aus den wachsartigen Blüten mit warmen roten Farben errichtet.
Nach den vielen bunten Eindrücken ist es wunderbar eine Weile den Klängen des Harfenisten Luc Vanlaere zu lausche.
Im Obergeschoß der Wintermoments bieten Floristen Workshops und Demonstrationen an.
Im Untergeschoß können alle Materialen rund um ihre Weihnachtsdekoration erworben werden.
Recht verzaubert tritt man hinaus in das winterliche Brügge mit seinem mittelalterlichen Stadtkern.
Wer diesen beliebten Ort von einem Sommerbesuch kennt, weiß es zu schätzen, dass die Stadt mit den hübschen Geschäften der Schokoladenbäcker und Spitzenklöppler nun weniger überlaufen ist.