Von Äpfeln und Keksen
„Nein, hier gibt es keine rechten Winkel.“ Lord Montgomery lacht als ich auf seinem Landgut Grey Abbey verspätet eintreffe.
Besuch auf Grey Abbey in Nordirland
Einem unersichtlichen Plan folgend, winden sich die Wege durch die weitläufigen Besitztümer. Natur und Geschichte schufen ein Design, das sich bisweilen den natürlichen Schwüngen der Hügel, Flüsse und Buchten fügt und dann wieder respektvoll einem großen Baum oder einer Hecke ausweicht. Prächtige schwarze Angusrinder und Schafe sind auf die Weiden getupft. Erst als ca. 2 km außerhalb des Ortes die Steinmauer des Besitzes endet, komme ich auf einen Eingang zu mit dem Schild „Private Road“. Beherzt nutze ich diese letzte Möglichkeit und gelange über Stallungen sowie einen Bauernhof und nach Durchfahrt eines Wäldchens schließlich zu einer Ruine, eben der namensgebenden Grey Abbey. Ich steige aus und erkenne erfreut einen Heilkräutergarten.
Ganz falsch kann ich nicht sein und so fahre ich weiter bis ich schließlich das Manorhouse erreiche, das wie ein Stück grauer Fels auf dem höchsten Punkt der Ländereien thront. Nein, äußerliche Pracht gehört nicht zum Selbstverständnis der Briten. Lady Daphne geleitet mich ins Kaminzimmer. Von den Wänden blicken, streng und goldgerahmt in Öl, die Ahnen der Montgomerys. Von kleinen Fotografien in Stehrahmen blinzeln die jüngeren Generationen der Familie. Auf den Tischen liegen überall Stapel mit Büchern. Die Ahnen lassen wenig Platz für Bücherregale in der guten Stube. Besonders schön ist der Drawingroom, der Gesellschaftsraum mit spitzen gotischen Fenstern und Gartenblick. Acht Ecken sorgen für ausreichend gemütliche Sitzgelegenheiten. Zufrieden höre ich, dass hier auch unsere Gartengruppen empfangen werden.
Es ist schon ein wenig frisch hier unweit der Küste. Bei einer Tasse Tee und ein wenig Gebäck kann ich mich am Kamin aufwärmen. Die Kekse wirken zunächst wie das Haus nämlich recht unspektakulär, entfalten jedoch beim ersten Bissen so einige Aromen des viktorianischen Weltreiches: Ingwer, ein Hauch Kardamon und Muskat verbacken mit heimischen Nüssen und Haferflocken.
Bei der Fahrt durch den Garten sind mir bereits andere Ingredienzen englischer Entdeckerlust aufgefallen. Unterhalb des Haushügels erstreckt sich ein Southern-Hemisphere-Garden. Ein Garten mit Pflanzen, die vor allem aus Chile stammen. In Küstennähe gedeiht mit feuerroten Blüten, dort wie hier, der chilenische Feuerbusch (Embothrium). Die chilenische Honigpalme Jubea wagt sich ebenso hervor wie Myrtenbäume und das einzige Exemplar der Coihue (Südbuche) in Nordirland. Die gute Zusammenarbeit mit dem botanischen Garten in Edinburgh liefert so manche seltene Pflanze wie Berberis valdiviana. Als hübsches Unkraut erweisen sich wie überall in Nordirland die Magellanfuchsien.
Hausherr William, auch hier ist man schnell beim Vornamen, gibt sich erstaunt, als ich frage, warum die wunderbaren Pflanzen nicht auf der freien Fläche vor dem Haus gepflanzt wären. „Nun wir haben hier den ältesten Landschaftsgarten Irlands, da wollten wir uns den Blick bis hin zum Strangford Loch nicht zupflanzen. Eigentlich sollte es hier auch keine Zäune geben. Zu Zeiten meiner Großmutter war extra ein Hirte angestellt, dessen einzige Aufgabe war, die Kühe aus dem Garten zu halten.“ Kein ganz einfacher Job übrigens. Die Großmutter war Malerin und verfügte bisweilen, dass nur die braunen Kühe zusammenstehen sollten und unter einem anderen Baum die weißen.
Auch im Obstgarten gehen die Wahrung des Erbes und behutsame Erneuerung Hand in Hand. Hier sammelt die Familie mit Unterstützung irischer Pomologen Obstsorten aus Irland. Die Früchte sind bisweilen klein aber außerordentlich schmackhaft.
Mit zwei Äpfeln vom Lord und zwei Plätzchen von der Lady als Wegzehrung mache ich mich auf den Weg zum nächsten wunderbaren Garten am Loch Strangford, dem sagenhaften Mount Stewart.
Der richtige Eingang zum Anwesen war übrigens ganz einfach zu finden: mitten im kleinen Ort Grey Abbey zwischen Schule und Kirche.
Christoph Laade