Die “proletarische Dahlie” lebe hoch…
von Romke van de Kaa – Nirgends existiert so viel Snobismus wie in der Gartenwelt. Manche Pflanzen sind der Gipfel von chic, während andere unter dem Image „proletarisch“ leiden. Solch eine proletarische Pflanze ist die Dahlie. So wie der Mercedesfahrer herablassend auf den kleinen Opel schaut und der Golfspieler sich für nichts in der Welt mit Volleyball beschäftigen würde, so gibt es auch Gartenliebhaber, die niemals eine Dahlie in ihren Beeten dulden könnten. Doch das Blatt wendet sich. Mit freundlicher Genehmigung von: Grüner Anzeiger www.grueneranzeiger.de
Seit ein paar Jahren geraten Gartentouristen in England in Verwirrung, wird dort doch in trendy Gärten die Dahlie schamlos gepflanzt. Hierdurch sind nun auch auf dem Kontinent Veränderungen spürbar. Die Dahlie wird von jeher in Bauerngärten verwendet und nimmt darum teil an der zunehmenden Popularität von Produkten wie Landbutter oder Brennesselkäse. Die Wiedergeburt der Dahlie begann mit der Sorte ‘Bishop of Llandaff’, einer Dahlie mit schokoladebraunem Blatt und ungekünstelten, einfachen, erdbeerroten Blüten. Eine Dahlie, die dermaßen vom gängigen Modell abwich, daß sie kaum noch als Dahlie zu erkennen war, und darum selbst für Dahlienhasser akzeptabel schien.
Es entstand derart viel Nachfrage nach dieser Pflanze, dass die Gärtner mit der Vermehrung kaum nachkamen. Im Kielwasser vom Bischof schwammen auch andere dunkelblättrige Dahlien mit, und dann, vor ungefähr fünf Jahren, als Pastellfarben das Gartenpublikum zu langweilen begannen, waren die Voraussetzungen für die Neubewertung der Dahlie geschaffen. Inzwischen hat der Bischof schon viele Söhne, denn neben dem ‘Bishop of Llandaff‘ kennen wir nunmehr den ‘Bishop of York’, den ‘Bishop of Auckland’ und viele mehr.
Dahlien passen perfekt in dieses neue Jahrhundert, in dem wir an die Grenzen unseres Wachstums stoßen und uns in der finanziellen Krise einen Lichtblick erhoffen. Wir suchen Trost im Garten, wo uns die Dahlien an fröhliche Calypsomusik und Lebensfreude denken lassen. Und während die üblichen Gärten nach den Sommerferien verwelkt und hinfällig sind, kommt ein Garten voller Dahlien jetzt erst richtig in Schwung und hält Karneval – bis im Oktober die ganze Pracht in nur einer Nacht feiernd zugrunde geht. Dies ist die Nacht, in der der erste Frost des Jahres zuschlägt und alle Festteilnehmer wie durch Zauberhand in schwarze Skelette verwandelt werden.
Die Dahliensprache hat ein ganz eigenes Vokabular. Rot ist niemals einfach nur „rot“, sondern purpurrot, rosenrot, türkisch rot, lebhaft orientalischrot, krappurpurrot, blutrot, kardinalrot, karmesinrot, signalrot, kirschrot, adrianopelrot, fuchsienrot, neon-rosarot, holländisch zinnoberrot mit kardinalroter Glut und noch Dutzende andere Schattierungen. So wie ein Eskimo fünfzig Wörter für Schnee weiß, so hat der Dahlienzüchter fünfzig Nuancen für Rot. Die Dahlie ist mehr als eine Blume – Dahlien bedeuten eine Subkultur, eine gesonderte Welt, in der sich der Liebhaber verlieren kann, so wie der Taucher verzückt umherirren kann in einem Korallenriff voller exotischer Fische und Seeanemonen.
Eine größere Unannehmlichkeit soll nicht verschwiegen werden: Sie müssen Dahlien jeden Herbst roden und den Winter über frostfrei aufbewahren. Das bedeutet richtig viel Arbeit! Doch der Lohn dieses Werkelns ist fantastisch: Wer einen Garten voller Dahlien hat, braucht in den Ferien nie mehr in exotische Länder zu reisen…
Mit freundlicher Genehmigung von: Grüner Anzeiger – www.grueneranzeiger.de